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Vorbilder
Roland Rainer
Lebensgerechte Außenräume Repräsentation oder Privatsphäre
Wer aus der uferlosen Ausdehnung moderner Großstädte infolge ihrer
mit freistehenden Einzelhäusern locker bebau-ten Außenbezirke
den Schluss zieht, das „Einfamilienhaus“ sei eine Hauptursache
unserer bekannten städtebaulichen Schwierigkeiten,
der irrt.
Er verwechselt das „Einfamilienhaus“ mit dem auf einer großen
Parzelle allseits frei stehenden Einzelhaus, dem „Eigenheim“ landläufiger
Vorstellung. In dieser städte-baulich verhängnisvollen und unwirtschaftlichen
Form entstehen Einfamilienhäuser aber erst seit etwa fünfzig Jahren.
Vorher haben sie in ganz anderer Art, nämlich als durchwegs aneinandergebaute
Häuser auf sehr kleinen Parzellen mehrere tausend Jahre lang den Städtebau
fast aller großen Kulturen beherrscht – sei es als Atriumhäuser
des Mittelmeerkreises oder der mohammedanischen Großstädte West-
und Zentralasiens, sei es als chinesische Hofhäuser, sei es als Reihenhäuser
der west-, nord- und mitteleuropäischen Städte; Einfamilienhäuser
prägen auch heute das Wohnungswesen der sehr gut funktionierenden holländischen
und englischen Städte aller Größen,
ein-schließlich Londons.
Bäume
Wenn im Hof eines alten Hauses ein Baum steht, dessen Stamm von den
Bewohnern immer wieder gekalkt wird wie die Wände des Hauses und Hofes,
wirkt er als selbst-verständlicher Bestandteil der Behausung, und tatsächlich
wird dieser Hof erst durch den Schatten des Baumes ein bewohnbarer
Raum, dessen schützendes Dach die Bewoh-ner außerdem mit Früchten,
mit Luftfeuchtigkeit und damit Kühlung, vor allem aber mit Sauerstoff
versorgt, ihnen Windschutz gibt und sie überdies den Wechsel der Jahres-zeiten
erleben lässt.
„
Wo man baut, pflanzt man Bäume“. Diesen alten türki-schen
Spruch hat Le Corbusier 1927 mit dem Bemerken zitiert: „Bei uns entfernt
man sie – Istanbul ist ein Garten, unsere Städte sind Steinwüsten“.
Dass in alten Kulturländern Höfe, Straßen und Plätze
von Bäumen durchsetzt, ja oft von ihnen ganz erfüllt sind, dass
man in Wohn- und Gasthöfen unter Bäumen sitzt, wohnt, arbeitet,
ausruht, dass unter Bäumen Markt gehalten wird, das alles hat sehr realistische
Gründe: Nicht nur in heißem Klima werden die Lebensverhältnisse
durch Schatten und Luftfeuchtigkeit – die ja nur Bäume reichlich,
dauernd und ohne Kosten geben – entscheidend verbessert.
Aus: Roland Rainer Lebensgerechte Außenräume
1972 Verlag für Architektur Artemis Zürich
ISBN 3 7608 8038 X
Sommerhaus
Aus einem Gefüge langgestreckter, fast fensterloser Mauern aus handwerklich
bearbeitetem Kalkstein, unver-putzt, durch weinbewachsene Pergolen
verbunden – kaum
als „Haus“, sondern eher wie niedrige Gartenmauern in einer mit
Mandelbäumen bestandenen Wiese wirkend.
Mit dem Ziel der Entspannung und ruhiger Athmosphäre wurde „Technik“ sehr
reduziert: Strom und Wasser aus dem örtlichen Brunnen nur für Küche
und Bad, im Übrigen aus-nahmslos Holz und Kerzen für Feuer und
Licht.
Aus: Roland Rainer Das Werk des Architekten 1927 – 2003
2003 Springer-Verlag Wien New York
ISBN 3-211-83838-4
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