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Vorbilder
Hermann Schröder
Reale Utopie im Wohnungsbau
Architektenportrait
Hermann Schröder stellt sich nicht gern ins Licht der Öffentlichkeit.Als
Professor für Gebäudelehre und Entwer-fen an der Technischen
Universität
München sieht er seine Aufgabe vielmehr in der detailgenauen Arbeit
mit Studen-ten, für die er sich Zeit nimmt, Wohnformen und Ökologie
zu disku-tieren. Zweifellos gehört er zu den Protagonisten, die die
Diskussion um das komplexe Gebiet des Wohnen voran-treiben. 1971/72
bearbeitete er mit
Peter Faller einen Forschungsauftrag des Bundesministeriums über „terrassierte
Wohnbauten in der Ebene“. Seit 1986 arbeitet er in einer Projektgemeinschaft
mit Sampo Widmann in München. Für sein Wohnbauprojekt in Passau
Neustift er-hielt er zusammen mit Sampo Widmann eine Anerkennung
zum „Deutschen
Architekturpreis 1989“,
den „Architektur-preis für Beton 1991“ und den „Bauherrenpreis
1992“.
Interview mit Hermann Schröder
L:
Sie sind seit über 15 Jahren hier am Lehrstuhl für Gebäu-delehre
und Entwerfen. Hat sich Ihre über Wohnungsbau in dem Zeitraum geändert?
Hermann Schröder:
An der E.T.H. Zürich war mein Anliegen, Studenten städtebauliche
und sozialräumliche Probleme, die ich in der Praxis erkannt hatte,
zu vermitteln. Das war 1973 zur Zeit der Ölkrise. Da haben wir uns über Ökohäuser
unterhalten. Ich muss vielleicht dazu sagen, dass ich von Haus aus
mit Ökologie
zu tun hatte. Mein Vater hat immer Leberecht Migge zitiert. Das ist
ein Gartenarchitekt
der 20er Jahre, der die ganze Ökologie-Bewegung vorweggenommen hat
und als Landschaftsplaner mit Ernst May zusammen die Siedlungen in
Frankfurt geplant
hat. In den zwanziger Jah-ren musste man sparen, und man hat jeden
Abfall verwe-rtet. So bin ich also vorbelastet. Ich bin als Kind
auf einem Balkon groß geworden
unter freiem Himmel, wo ich meine Aquarienfische hatte, wo ich Tomaten
gepflanzt habe
und der Komposthaufen auf dem Balkon war. Als Kind hab´ ich gelernt,
mit Pflanzen umzugehen, und ich weiß, dass man später nicht
mehr lernt. Was man als Kind nicht be-greift vom Lebendigen, das
ist offensichtlich nicht mehr nachholbar.
L:
Heute zwingt einen nicht die Armut zum Sparen, sondern die Verantwortung
zum Haushalten. Grundproblem Num-mer eins: Was macht man mit den
Autos?
Hermann Schröder:
Das Auto ist eine Frage der gesellschaftlichen Entschei-dung, und
es gibt keine Lösung technischer Art dafür.
L:
Das Auto beansprucht Raum und dominiert das Wohnum-feld, den Straßenraum.
Hermann Schröder:
Ich kenne kein Patentrezept.. Die Tiefgarage ist auch keine Lösung.
Sie ist unangenehm, ist das notwendige Übel, wenn wir eine relativ
hohe Dichte erreichen wollen. Ich sehe das gerade bei einer Planung
für
einen dreigeschossigen Holzbau mit Mietwohnungen. Der Bau soll billig
sein, und bei drei Geschossen
kriegt man eine Dichte, die es nicht mehr erlaubt, die Parkierung
ebenerdig unterzubringen. Legt man eine Garage an, wird die ganze
Ersparnis, die man
vielleicht durch den Holzbau erreichen kann, absurd und widerlegt.
Wir wissen außerdem, wie räumlich unange-nehm, sozialräumlich
unangenehm Tiefgaragen sind.
Das heißt, das ist ein politisches Problem,
das man nicht planerisch im Wohnungsbau lösen kann. Die ganze Gesell-schaft
ist auf das Auto eingeschworen, ist abhängig von ihm, dass so schnell
keine Lösung in Sicht ist, es sei denn eine gewalttätige, die
sowieso dann kommt, wenn die Ressourcen zu Ende sind.
L:
Das trifft die Architekten dann aber unvorbereitet.
Oder gibt es
schon Ideen für eine autofreie Idealstadt?
Hermann Schröder:
Das ist eine Utopie, denn die Gesellschaft müsste dann so anders
aussehen, dass wir dazu jetzt keine Prognosen stellen können. Es
sei denn, wir holten mittelalterliche Mo-delle aus der Schublade. Die
Stadt wäre dann
nicht größer als fußläufig erwanderbar, das heißt
etwa eine Stunde Durchmesser zu Fuß. Aber alle anderen Abhängigkeiten
sind so, dass man eine autofreie Stadt nur als reine Utopie formulieren
könnte.
L:
Es liefe darauf hinaus, dass der Architekt ein Gesellschafts-modell
entwickeln müsste, für das er baut.
Hermann Schröder:
Das gab es bereits in den zwanziger Jahren. Damals meinte man, man
könne als Architekt gesellschaftliche Ver- änderungen herbeiführen.
Man glaubte, man könne etwas planen für Verhaltensweisen, die es
in der Bevölkerung gar nicht gab. Man hat sogar Utopien gebaut und sich
dann ge- ärgert, dass sie nicht so genutzt wurden oder nicht so funktionierten,
wie sie gedacht waren.
L:
Sie haben in den sechziger Jahren einen Wohnhügel gebaut.
Hermann Schröder:
Zu dieser Zeit gab es in Stuttgart von Kammerer und Lutz und Max Bächer
eine Ausstellung „Heimat – deine Häuser“. Damals hat
Rosso in Karlsruhe die große Landzerstörung angeprangert. Da ist
zum ersten Mal das Schlagwort von der Zersiedelung aufgekommen. Mein Kollege
Roland Frey und ich – wir haben zu der Zeit bei der Oberfinanzdirektion
Stuttgart im „Planungsreferat Hochschule“ gearbeitet – haben
uns gefragt, was man tun kann.
L:
Welche Überlegungen führten schließlich zum Wohnhügel?
Hermann Schröder:
Wir versuchten die Wohnung neu zu organisieren. Die Idealform wäre
auch für uns das Gartenhofhaus gewesen mit direktem Bezug zur Natur.
Damals war das Hochhaus – in Stuttgart der Hanniball von Jäger – als
Modell gegen die Landzerstörung im Gespräch. Es gab ungeheuer viele
Bau-sparer, die ihr Häuschen nicht realisieren konnten, weil es kein
Land gab, nun wurden die in das Hochhaus gesetzt. Das war für uns keine
Alternative. Und so kamen wir auf das terrassierte Haus in der Ebene,
bei dem jede Wohnung einen Freiraum unter offenem Himmel ha und das
trotzdem eine hohe Dichte erlaubt. Wir sind so weit gegangen, bei einem
Frankfurter Wettbewerb 1959/60 große 12stöckige „Mutterschiffe“ zu
propagieren, in die wir alles reingesteckt hatten von der Kirche bis
zum Kaufhaus. Die kleineren Hü- gel enthielten Wohnung und Parkierung.
In den 50er Jahren nahm die Motorisierung stark zu, und die Autos standen überall
zwischen den Häusern. Wir dachten, es sei besser, die Häuser über
die Autos zu bauen. Aus heutiger Sicht waren die Planungen sozialräumlich
falsch, weil sie nur von der Organisation der Wohnungen her entwickelt
waren.
Der Bezug zum öffentlichen Raum, auf den ich heute be-sonders
achte, war nicht gegeben.
L:
Wie sind Sie zu Ihrer veränderten Einsicht gelangt?
Hermann Schröder:
Durch Erfahrungen mit den eigenen Planungen, weniger am einzelnen Haus,
sondern an städtebaulichen Projekten. Vor allem die Planung eines Wohngebietes
in Stuttgart-Neugereut.
Wir haben gemerkt, dass man nicht einfach Zeilen setzen kann. Da entsteht
kein Raum und keine Stadt. Man braucht eine Differenzierung von öffentlichen
Räumen und privaten Räumen, braucht Zonungen, um einen Organismus
ent-stehen zu lassen. Diese Erfahrung ist dann in alle weiteren Planungen
eingeflossen.
L:
Können Sie in diesem Zusammenhang mit dem Begriff „Ganzheitliches
Wohnen“ etwas anfangen?
Hermann Schröder:
Mit dem Begriff sicher nicht, oder gibt es auch ein partielles Wohnen?
Kann man eben reduzieren? Das Ganzheitliche wäre doch das Selbstverständliche.
Heute gibt es ein Defizit in selbstverständlicher Lebensweise. Und es
entstehen immerneue Begriffsbestimmungen dort, wo wir einen Man-gel
feststellen. Der Begriff ist ein Symptom dafür, dass irgendwo was faul
ist, wobei man dann aber Ursache und Wirkung verwechselt und meint, wenn
man den
Begriff oft genug verwendet, dann hat man das Problem im Griff.
L:
Mit der Charta von Athen wurde eine Utopie nicht nur ent-wickelt, sondern
die vorgesehene Funktionstrennung auch realisiert.
Hermann Schröder:
Da war eine kommerzielle Komponente im Spiel. Der Aspekt der Trennung,
der in der Charta von then vorge-sehen war, ließ sich vermarkten. Andere
Ideen der Zwan-ziger Jahre ließen sich nicht vermarkten und waren zum
Teil auch gegen menschliche Verhaltensweisen gerichtet. Solche Utopien
ließen
die Realität außer acht.
L:
Ist eine Utopie des Wiederzusammenführens unrealistisch?
Hermann Schröder:
Teilweise. Man weiß ja, wo eine reelle Mischung von Woh-nen und
Gewerbe möglich ist und wo nicht. Die drastische Umkehr wäre
falsch, denn dann hätten wir wieder die Ver-hältnisse des ausgehenden
19. Jahrhunderts. Aber gewisse Mischungen sind denkbar. Bei der IBA
beispielsweise wurde die „Berliner
Mischung“ angestrebt, scheiterte aber am Kommerziellen, weil die Werkstätten
im Hof viel zu teuer waren für den Handwerker, der sich in einem alten
Hinter-hof dann seine Werkstätten gesucht hat. Und ein Neubau war für
ihn finanziell nicht tragbar. Folglich blieb das dann wieder Utopie
aus wirtschaftlichen Gründen. Das Problem ist, dass wir immer an einem Übel
ansetzen, das wir gerade sehen. So wie in der 20er Jahren Licht, Luft
und Sonne, weil
die Städte übervölkert waren. Man vergisst Zusammen-hänge
und versucht sektorell ein Problem zu lösen nach der Boxautomethode.
Man fährt gegen ein Hindernis, wechselt daraufhin die Rich-tung. Man
stößt wieder an, also wieder ein neues Tages-problem. Im Augenblick
ist es Ökologie. Das heißt, man schreibt schnell Ökologie
davor. Durch die Konzentration auf Hygiene in der 20er Jahren wurde
in Reaktion auf die Hinterhöfe des ausgehenden Jahrhunderts der Zeilenbau
erfunden. Gleiche Bedingungen für alle – und die Stadt war weg,
weil es überhaupt
keinen Raum mehr gab.
Keinen öffentlichen, keinen privaten, nur noch
anonymen.
L:
Dann muss das sozialräumliche Gefüge in der Planung ganz obenan
stehen und alles andere muss sich unter-ordnen?
Hermann Schröder:
Ja. Die räumliche Organisation eines Stadtgefüges muss sich nach
den Verhaltensweisen der Bewohner richten. Wenn das nicht stimmt, entsteht
Unzufriedenheit. Bis hin zu Vandalismus in bestimmten Stadtgebieten.
Das wird dann der Architektur, der schlechten Architektur angelastet.
So kommen Forderungen nach besserer Architektur zu-stande, gemeint ist
aber der Stadtraum
L:
Wie weit hat der Architekt den Einfluss auf die Sozialräum-lichkeit
einer Stadt?
Hermann Schröder:
Natürlich können wir nicht den ganzen Bereich, der die Stadtplanung
umfasst, mitbehandeln, aber der Wohnraum ist mehr als nur die vier
Wände, in denen ich mich aufhalte.
Auf jeden Fall umfasst das Wohnen bereits im engeren Sinne auch den
Bezirk, das Umfeld, in dem ich mich tag-täglich bewege.
L:
Ihr Projekt in Passau Neustift steht wie eine Arche in der Wildnis.
Kann der Architekt mehr schaffen, als heile Inseln, die sich wieder ausgrenzen?
Hermann Schröder:
Das heißt ja nicht, dass man diese Inseln nicht richtig machen soll.
Natürlich kann eine kleine Gruppe das Ganze nicht aufheben. In Passau
konnten wir den vorhandenen Straßenraum nicht reparieren, obgleich
das der richtige An-satz ist. Wir haben da, wenn man so will, wissentlich
etwas falsches gemacht, weil wir die Gruppe auf sich bezogen haben.
Auch auf das Gegenüber war nicht mehr zu ant-worten. Hier am Lehrstuhl
beschäftigen
wir uns intensiv mit dem Thema der Straßenraumreparatur und Verdichtung.
Wir probieren, ein vorhandenes Straßengefüge räumlich zu
verbessern.
L:
Solche Verbesserungs- und Verdichtungsprogramme scheinen doch realer,
als wieder hektarweise neues Bau-land auszuweisen. Ist das auch politisch
durchzusetzen?
Hermann Schröder:
Im Münchner Norden, im Hasenbergl, hat die Stadt etwas derartiges gemacht.
Es gibt also Ansätze, aber es gibt auch Schwierigkeiten von den von
den Bewohnern, weil die in ihrer gewohnten Umgebung nicht gerne etwas
Neues sehen – auch wenn es eine Verbesserung ist. So etwas ist ein
langer Prozess und man braucht viel Öffentlichkeits-arbeit.
L:
Ihre Siedlung in Passau hat stark dörflichen Charakter – von
der Struktur, von den Materialien her und der Anlage eines Dorfplatzes
mit dem Gemeinschaftshaus.
Hermann Schröder:
Ja sicher, in der Stadt braucht man das nicht. Da hat man die Eckkneipe.
Ein Gemeinschaftshaus macht man genauso wie einen Kinderspielplatz,
weil kein Platz für die Kinder da ist zum Spielen. Eigentlich ist ein Gemeinschaftshaus
ein Symptom für etwas, was nicht ganz stimmt. Im Fall Passau die Insel.
L:
Verdichtung bringt ja eine Reihe von Problemen mit sich. Meist hört
man die Nachbarn durch Wände und Decken, Balkone sind kaum nutzbar,
noch weniger die Grünflächen
vorm Haus. Ist das lösbar?
Hermann Schröder:
Je verdichteter das Wohnen, um so stärker muss die Privatsphäre
geschützt werden. Das heißt, ich muss inves-tieren in Schallschutz
und ich muss sehr sorgfältig meine Schwellen aufbauen.
L:
Können Sie das konkret definieren?
Hermann Schröder:
Schwelle ist einfach der Begriff für Zonen des Übergangs von einem
Bereich in einen anderen, von Öffentlichkeit zu Privatheit. Das darf
nicht abrupt passieren, sondern über mehrere Stufen. Im afrikanischen
oder arabischen Bereich ist das viel differenzierter ausgeprägt als
bei uns. Dagegen sind wir Primitive. Ein Fenster, das Kontakt aufnimmt zur
Straße, eine kleine Vorzone, eine Stufe, selbst Änderung eines
Bodenbelages ist ein räumliches Merkmal, das mir klar macht, wie weit
ich gehen kann. Ich habe viel von den Engländern gelernt, die ein sehr
feines Empfinden dafür haben.Dafür habe ich erfahren, wie kommunikativ
Mauern oder ein Zaun sein können. Auf den Zaun, wenn er niedrig ist,
kann ich mich stützen und mit den Nachbarn reden. Ich habe in England
mit einem Nachbarn gewohnt, der einen völlig verwilderten Garten hatte,
der hatte seine alten Sofas da stehen und Motorräder und der stützte
sich dann auf den Zaun, um zu sehen, wie ich als Deutscher gleich Tulpen
gepflanzt hatte und sagte:
Ooh I don´t like gardening. I like my motorbyke.
Beispiel Passau, ich brauche überall meine Wände als Markierung
des Territoriums. Das stößt immer wieder auf Kritik bei Leuten,
die nicht dort wohnen und sagen: warum könnt ihr nicht alles offen machen,
ist doch viel schöner. So aber weiß ich, wie ich mich zu bewegen
habe und ich kann auch Kontakt aufnehmen mit dem Bewohner, ohne ihm
zu nahe zu kommen.
L:
Das Distanz- oder Kommunikationsbedürfnis ist ja schon von Individuum
zu Individuum unterschiedlich. Kann man auch von nationalen Unterschieden
sprechen?
Hermann Schröder:
Ja, durchaus. Wir wissen, dass in Holland Wohnungen direkt zur Straße
liegen. Auch bei Laubenganghäusern in Holland haben wir Individualräume
mit Fenstern zum Lau-bengang. Die würden bei uns gar nicht finanziert.
Der Holländer hat dazu ein anderes Verhältnis, er will nach außen
Offenheit zeigen. Er weiß aber andererseits ganz genau, dass ein Beobachter
vor seinem Fenster kein Holländer ist, sondern ein Deutscher.
L:
Können wir nicht trotz der Verschiedenheit von den Hollän-dern
lernen, die ja eine viel höhere Dichte haben als wir und dennoch wohnlicher
wohnen?
Hermann Schröder:
Das Verhalten ist nicht so gewaltig anders als unseres. Wir wissen,
dass die Holländer viel billiger bauen. Das hängt mit einem Anspruchsdenken
zusammen. Bei uns ist immer noch der goldene Wasserhahn mehr wert als
das bessere Wohnumfeld und die räumliche Qualität der Wohnung.
Der Ausstattungsstandard und damit eigentlich die Neben-sächlichkeiten
haben bei uns in jedem Fall einen höheren Stellenwert. Wir haben es
erlebt, als die Oberste Baube-hörde ein Selbstbauprojekt in Rosenheim
realisiert hat, dass der Selbstbauer die teure Eichentreppe brauchte,
um mit dem,
der sein Haus ohne Eigenleistung finanziert hat, konkurrieren zu können.
Wenn Sie irgendwo preiswerte Häuser sehen, sind die immer von Intellektuellen – das
müssen keine Akademiker sein – von Leuten, die über sich
und ihr Verhältnis in der Welt nachgedacht haben, die selbstsicher genug
sind, um die Einfachheit ertragen zu können.
L:
Woran liegt das? Sind die Holländer etwa ein Volk von Intellektuellen?
Hermann Schröder:
Das kann ich nicht beantworten. Bei unserem eigenen Haus in Stuttgart
haben wir den „Schnitz“ gebaut mit 20 Familien, die sich kannten.
Wir dachten, dort könnten wir ganz ein-fach bauen, aber wir erlebten,
dass 20 Familien bereits den Querschnitt unserer Gesellschaft darstellen.
Alle Forderun-gen kamen später. Das Treppenhaus musste verputzt wer-den,
konnte nicht einfach geschlämmt sein. Die Stahl-
betontreppe aus Fertigteilen
musste eine Beschichtung kriegen und da noch einen Gumminoppenbelag
und, und... So kam immer mehr dazu, weil die Leute dann doch Angst
vor Ihrer ante
kriegten, was die wohl sagt zu einem „so schäbigen“ Haus.
Ich weiß auch nicht, ob ein Soziologe da eine Antwort geben könnte.
Da gibt es sicher ein komplexes, aus der Entwicklung entstandenes Verhalten.
L:
Wenn alle in diesen Klischees verhaften, kommt dann eine Beteiligung
der späteren Bewohner beim Planen überhaupt in Frage?
Hermann Schröder:
Bürgerbeteiligung hieße, einen langen Lernprozess ge-meinsam durchmachen.
Die Bewohner gehen von dem aus, was sie kennen. In Passau zum Beispiel
gibt es nur Wohn-küchen. Die Bewohner haben zunächst gesagt, dass
das nicht geht. Sie wollten eine abgeschlossene Küche haben. Wir haben
dann so geplant, dass die Wohnküche vom Wohnraum nachträglich abtrennbar
ist, und den Bewohnern vorgeschlagen, zunächst einmal einzuziehen und
abzuwar-ten. Nachdem alle jetzt eingezogen sind, wird es akzeptiert.
Manche finden es sogar viel besser. Im sozialen Woh-nungsbau ist es
günstiger,
mit dem bisschen Raum offener umzugehen. Trotzdem haben sich die Bewohner
teilweise sehr unpraktisch eingerichtet, und obwohl die Oberste Baubehörde
eine Innenarchitektin als Beraterin engagiert hat, wurde der Rat von
den Bewohnern kaum angenom-men. So eine Spezialarbeit kann ein Architekt
sowieso nicht leisten. Das ist nicht zu finanzieren. Insofern ist eine
Bürgerbeteiligung
als Hauruckmethode – fragen, was der Bewohner will – falsch.
L:
Die Passauer Grundrisse sind ja relativ schmal...
Hermann Schröder:
...ja, 3,90 Meter Hausbreite. Da hat der Bauherr erst auch geklagt.
Aber wenn man breite Räume will, muss man schmale Häuser bauen,
denn bei einem fünf Meter breiten Haus muss man bei gleicher Fläche
zwei Räume neben-einander legen, weil die Tiefe geringer wird. Und dann
sind die Zimmer plötzlich unter 2,50 Metern statt 3,60 wie in Passau.
Man hat uns hinterher gesagt, dass man zwar eine benachbarte Siedlung
mit weißem Putz und roten Ziegeln als schöner empfinde als unsere „scheußliche“ Blech-fassade,
aber die Grundrisse dort seinen ja viel zu eng.
L:
Entwickeln Sie aus dem sozial-räumlich-ökologischen Ansatz Ihrer
Architektur eine eigene Ästhetik?
Hermann Schröder:
Ich halte die Ästhetik, das Aussehen eines Bauwerks für ungeheuer
wichtig, nur können wir nicht an der Ästhetik ansetzen und von
da aus einen Grundriss entwickeln. Das ist ja leider vielfach passiert,
dass man nur formal an die Dinge herangeht. Überall entstehen des Kaisers
neue Klei-der, absurde Geschichten.
L:
Die Gestaltung ist für die Gefühlsseite der Bewohner wichtig.
Harmonie, Identifikation mit dem Haus.
Hermann Schröder:
Da wird es schwierig. Ästhetik erfordert auch eine Erzie-hung oder
Bildung. Das heißt, ich kann von jemandem, der diese Voraussetzung
nicht hat, nicht verlangen, dass er ein von uns als schön erkanntes
Haus auch als schön empfin-det. Er wird sich dann vielleicht wie in
Passau an der Blech-fassade stören, die wir aus Kostengründen
geplant haben. So etwas muss man überlegen, damit es nicht als Zumu-tung
empfunden wird. Der zweite Bauabschnitt hat zwar noch Blechdächer,
aber keine Blechverkleidung der Fassa-de mehr.
L:
Stichwort Flexibilität. Was bringt Veränderbarkeit, späterer
Aus- und Umbau?
Hermann Schröder:
Es gab Wettbewerbe zur flexiblen Wohnung, und das wurde dann vermarktet.
Man hat einfach einen Grundriss entwickelt und gesagt, man kann ihn
so oder so einteilen. Die Quadratmeterzahl wurde aber nicht größer.
Flexible Einteilung nützt deshalb wenig, weil ein Mieter eine Woh-nung
mit einer Fläche für vier Zimmer nicht als Drei-zimmerwohnung bezahlen
kann. Außerdem ist die Flexi-biltät, das heißt die beliebige
Veränderbarkeit
in der bene wahnsinnig teuer, weil Elektroinstallation und ähnliches
vari-abel sein müssen. Was anderes ist das wachsende Haus, das heißt
ein Haus, an dem später angebaut werden kann. Nur – es wurde als
Modell propagiert für die wachsende Familie. Es ist für eine junge
Familie mit wenig Geld öko-nomisch sinnlos, sofort ein großes
Grundstück
für ein Haus zu kaufen, das erst im Laufe der zeit durch Umbau und Anbau
wächst. Von daher ist es vie besser, wenn man in einem Gebiet Wohnungen
verschiedenster Größe anbietet, die dann erlauben umzuziehen...
L:
...wenn woanders jemand auszieht.
Hermann Schröder:
Das erfährt man aber, das habe ich selbst schon praktiziert. Ich bin
in Stuttgart dreimal um die Ecke gezogen. Flexible Wohnungen mit gleicher
Quadratmeterzahl sind außerdem zu gleichförmig, zu anonym. Besser
ist es, die Räume neu-tral nutzbar zu machen wie in einer Altbauwohnung,
wo dann Schlafzimmer, Wohnzimmer und andere Individual-räume ausgetauscht
werden können. In jedem Fall aber Haustypen entwickeln von der Einheit
bis zur X-Zimmer-Wohnung als Ordnungssystem. Wohnungen entwerfen heißt
eigentlich immer, ein System zu entwickeln.
L:
Wie könnte man dem deutschen Wohnungsbau generell Impulse in Richtung
Phantasie und Innovation geben?
Hermann Schröder:
Da sind so Initiativen, wie sie von der Obersten Baubehörde ausgegangen
sind und gerade von Herrn Jörg Nußberger, der die bayerischen
Demonstrativbauvorhaben initiiert hat, sehr hilfreich. Wenn der soziale Wohnungsbau
kanalisiert wird auf Maßnahmen, die als Experimente gedacht sind. So
kann Neues erprobt werden und dann Breitenwirkung erzielen.
cor, fuh
Fotos: Cornelia Fröschl, Hermann Schröder, Colette Almesberger
Bange machen gilt nicht
erschienen in der Süddeutsche Zeitung
vom xxx Nr. 206 2002 ???
in der Reihe: „Eine Debatte: Die Zukunft der Architekten „
Den Beruf muss man nicht neu erfinden / Von Wolfgang Pehnt
Neulich war ich an einem Ort, den ich seit 35 Jahren nicht mehr gesehen
hatte, in Marl am nördlichen Rand des Ruhrgebiets. Das st eine Gegend,
der man in den sechziger Jahren jede Menge Entwicklungschancen zutraute.
Die Kohle versprach der Montanindustrie eine damals noch aussichtsreiche
Zukunft. Marl bekam ein neues Rathaus von der Architekturprominenz
(Van den Broek und Bakema) und eine Schule von Hans Scharoun. Man leistete
sich sogar
ein Wohnexperiment in Gestalt sogenannter Hügel-häuser. Dreieckig
im Schnitt, gleichen sie regelmäßig gera-ten Bergen. Die Architekten
hießen Peter Faller, Roland Frey, Hermann Schröder, Claus Schmidt.
Die Hügelhäuser haben Eigenschaften, die heutzutage wenig gelten.
Es sind Betonbauten, wenngleich inzwischen verputzt und gestrichen.
Die Menschen wohnen eng zu-sammen. Sie können nicht um ihr eigenes Haus
herum-gehen und müssen Rücksichten aufeinander nehmen. Aber die ältere
Dame, die in ihrer Wohnung seit der Fertigstel-lung lebt, und die Nachbarn,
die sie zur Bestätigung her-beiruft, wohnen gern hier. Der Neigung des
gebauten Hügels entsprechend, sind die Apartments zurückgestaffelt.
Fast alle haben zwei Balkons. Auf ihnen und in den Gärten, die vor den
Erdgeschosswohnungen liegen, werden an-scheinend gärtnerische Wettbewerbe
ausgetragen, so blühend und wuchernd ist die Vegetation. Unten im Wohn-hügel
steckt die Tiefgarage, darüber ein Schwimmbad für die Hausbewohner.
Manche haben an den Außenwänden ihrer Wohnungen Wagenräder
oder andere Gemütlichkeits-ikonen angebracht.
Der Architektur macht das nichts. Sie ist stark.
Das kompakte, flächensparende Bauen, der Versuch, durch Dichte Urbanität
zu erzeugen, die Ermittlung von Bewoh-nerwünschen, die Industrialisierung
der Baustellen, der Ersatz der Natur, die durchs Bauen verloren geht,
durch Natur auf oder am Gebäude, das alles waren Themen, die damals
auch die große Öffentlichkeit bewegten – und nicht nur,
wie heute, Spezialisten und wohlmeinende Stiftungen. Dass man das Land
durch Architektur
nicht stärker versie-geln dürfe als unbedingt nötig, war Jahrzehnte
vor den großen Hochwasserkatastrophen ein Allgemeinplatz. „Die
große Landzerstörung“ hieß schon 1959 der Werkbundtag,
der in Marl stattfand.
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